Synagoge in Lengnau

32 Freundinnen und Freunde unseres Vereins wollten sich am Sonntag, 30. Mai, trotz des wenig einladenden Wetters, die Wanderung auf dem Jüdischen Kulturweg zwischen Lengnau und Endingen nicht entgehen lassen. Organisiert wurde sie vom Basler Diözesanverband des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks, im Rahmen des Jubiläumsjahres.

Bevor wir uns aber am Nachmittag auf den Weg machten, trafen wir uns wie gewohnt zum Mittagessen. Und wie gewohnt war die Stimmung bestens, die Wiedersehensfreude gross, die Gespräche interessant und anregend.

Als wir mit dem Bus von Baden nach Lengnau fuhren, regnete es noch in Strömen, als wir uns aber am Nachmittag auf den Weg machten, konnten wir Schirm und Regenschutz im Rucksack lassen. Petrus meinte es wirklich gut mit uns, so dass wir die Wanderung mit den vielen interessanten Eindrücken und Gesprächen unterwegs auch geniessen konnten.

Geführt wurde die Wanderung von Thomas Markus Meier (Bibelwerk) und Käthi Frenkel (Verein Jüdischer Kulturweg). Mit Texten von Heinrich Heine – der als Jude geboren zum Christentum konvertierte und schliesslich wieder zum Judentum zurück fand – umrahmte Thomas Markus Meier die interessanten Informationen von Käthi Frenkel.

Thomas Markus Meier und Käthi Frenkel

Thomas Markus Meier und Käthi Frenkel

Die beiden Dörfer Lengnau und Endingen waren früher „Judendörfer“. In diesen beiden Dörfern hatten Juden das Recht, ungestört zu leben. Selbstverständlich lebten Juden auch an anderen Orten der Schweiz, wo sie aber immer damit rechnen mussten, vertrieben zu werden.

Wir begannen die Wanderung bei der Synagoge in Lengnau, wanderten durch das Dorf, sahen eine alte (verfallene) Mazzenbäckerei und wenn auch sonst kaum mehr etwas auf die spezielle Vergangenheit der beiden Dörfer erinnert, fallen doch jene Häuser auf, die zwei Eingänge haben.

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Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein durften Juden keine Häuser besitzen. Sie liehen also das Geld an Christen, die die Häuser bauten und mieteten sich danach ein. Und weil es eine Bestimmung gab, dass Juden und Christen nicht beieinander wohnen durften, lösten sie das Problem mit zwei Hauseingängen.

Zwischen den beiden Dörfern liegt der Jüdische Friedhof. 1750 erhielten die Juden die Erlaubnis, an der Landstrasse zwischen Endingen und Lengnau Land für einen Friedhof zu kaufen. Vorher mussten sie ihre Toten auf einer Rheininsel bei Koblenz, dem sogenannten „Judenäule“ bestatten. Ungefähr 2700 Menschen sind hier bestattet und noch heute werden die Verstorbenen hier begraben. Seit 1963 steht der Friedhof unter kantonalem Denkmalschutz.

Für die Führung auf dem Friedhof brachte Käthi Frenkel ihren Mann mit, damit wir uns in zwei Gruppen aufteilen konnten und so besser den Erklärungen folgen konnten. Wir wanderten vom ganz alten Teil des Friedhofs über den neueren zurück zum Eingang. Unterwegs erfuhren wir, dass Frauen und Kinder ihre eigenen Grabreihen haben, die ganz kleinen Steine sind Kindergräber. Einige Grabsteine sind inzwischen in der Erde versunken oder von Bäumen umwachsen. Gross gepflegt werden die Gräber nicht, es ist nicht üblich, Blumen zu pflanzen oder mitzubringen. Besucher legen oft einen Stein aufs Grab, ein Brauch, der wahrscheinlich aus der Wüste kommt. Dort wurden Gräber mit Steinen vor wilden Tieren geschützt, und Blumen hätten da keine Chance gehabt.

Auf den Grabsteinen finden sich neben dem Namen des/der Verstorbenen auch Gebete und gute Taten, die er/sie im Leben vollbracht hat. Auf den alten Gräbern sind die Inschriften in hebräischer Sprache, auf den jüngeren auch auf Deutsch. Einzelne Gräber sind mit Symbolen geschmückt. So weist z.B. ein Schofar (Widderhorn) darauf hin, dass hier ein Schofarbläser begraben ist. Der Krug weisst auf einen Verstorbenen aus einer levitischen Familie hin und die segnenden Hände auf einen Priester.

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Eine Besonderheit dieses Friedhofs ist, dass die Gräber nicht nach Osten weisen, wie das normalerweise üblich ist. Den Grund dafür kennt man nicht. Herr Frenkel meinte aber mit einem Augenzwinkern, dass es wohl den Endingern erspart bleiben sollte, nach dem Tod Richtung Lengnau schauen zu müssen. Gewisse Animositäten zwischen den fröhlicheren Endingern und den ernsteren Lengnauern waren an der Tagesordnung (so Käthi Frenkel später in der Synagoge Endingen).

In Endingen besuchten wir die Synagoge. Was mir so auf den ersten Blick auch schon bei der Lengnauer Synagoge auffiel, sooo anders als eine Kirche ist eine Synagoge gar nicht.

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Synagoge Endingen von aussen

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Synagoge Endingen von innen

Es fehlt aussen der Kirchturm – eine Uhr an einer Synagoge ist eher ungewöhnlich, wurde in Endingen und Lengnau aber zur Bedingung gemacht, dass die Synagogen überhaupt gebaut werden durften – und innen findet man statt einen Tabernakel den Schrein mit den Tora-Rollen und statt ein Kreuz stehen da zwei Menora (Menoren, Menoras, ich weiss es nicht…). Die Bänke haben höhere Lehnen, die den stehend betenden Männern als Lesepult dienen. Die Empore ist der Bereich für die Frauen und Kinder. Das sei nicht diskriminierend, meinte Käthi Frenkel, sondern äusserst praktisch. Ein jüdischer Gottesdienst dauert gut 2 1/2 Stunden, die Männer sind verpflichtet, ihn zu besuchen, für die Frauen gelten weniger strenge Regeln, weil sie zu den Kindern und evtl. kranken und/oder alten Familienmitglieder schauen müssen und für den Haushalt zuständig sind. Sie dürfen darum kommen und gehen, wie sie möchten. Früher, als es diese getrennten Bereiche noch nicht gab, haben sie damit die Männer im Gebet gestört. Darum wurden diese verschiedenen Bereiche schliesslich eingeführt und bis heute so belassen. Nur wenige jüdische Frauen stören sich offenbar daran.

Käthi Frenkel erklärte auch, wie ein jüdischer Gottesdienst abläuft. Da sind dann die Unterschiede zu unseren Gottesdiensten doch markant. In jüdischen Gottesdiensten wird vor allem gebetet und aus der Tora (5 Bücher Mose) vorgelesen. Und zwar so, dass in einem Jahr die ganze Tora gelesen wird. Jeder Gottesdienst läuft gleich ab, nach ganz bestimmten Regeln, mit ganz bestimmten Gebeten. Jeder Jude, jede Jüdin kann irgendwo auf der Welt am Sabbat in die Synagoge und weiss ganz genau, was vorgelesen und gebetet wird. Gottesdienstsprache ist Hebräisch. Immer. Überall.

Gebetsbuch Deutsch/Hebräisch

Gebetsbuch Deutsch/Hebräisch

Und nur wenn grad ein Rabbiner da ist, gibt es ab und zu während des Gottesdienstes eine Predigt, oft aber auch erst im Anschluss, bei einem Apéro (also quasi fakultativ), denn es wird offenbar nicht so geschätzt, wenn der eh schon lange Gottesdienst wegen einer Predigt noch verlängert wird. Lieder werden keine gesungen, Musik in jüdischen Gottesdiensten gibt es nicht. Es soll auch unruhiger und weniger feierlich zu und her gehen, als bei uns. Käthi Frenkel erzählte, dass da schon mal Kinder herumlaufen oder von ihrem Bereich oben, ihrem Papi rufen, der unten betet. Und die Synagoge sei auch der Ort, wo Neuigkeiten ausgetauscht werden, und zwar nicht nur oben bei den Frauen, sondern auch unter den Männern. (Das, so nebenbei bemerkt, widerspricht Käthi Frenkels Argumentation für den getrennten Frauenbereich. Aber wer bin ich, dass ich jüdische Regeln und Bräuche kritisierte oder anzweifelte…)

Auf die Frage, wie es denn die Jungen so hätten, lautet die Antwort hingegen wieder ganz ähnlich wie bei uns. Einige sind religiös und machen mit, andere eben weniger oder gar nicht. Ein Problem ist allerdings, dass viele Ehen Mischehen mit Christen sind und die Kinder dann oft eher christlich aufwachsen und die jüdische Kultur so verloren geht.

Noch viel mehr Spannendes wäre wohl zu erfahren gewesen, wenn nicht der Bus zurück nach Baden gefahren wäre. Auch in Endingen gibt es neben der Synagoge weitere interessante Gebäude, ein jüdisches Schulhaus, das jüdische Gemeindehause oder ein ehemaliges Schlachthaus, das seit dem Schächtverbot von 1893 nutzlos geworden ist (koscheres Fleisch wird seither aus dem Ausland eingeführt).

Zum Glück aber ist der Jüdische Kulturweg ja gut ausgeschildert und mit Informationstafeln bestückt, so dass alle Interessierten den Weg wieder einmal unter die Füsse nehmen können. Informationen finden sich auch auf der Homepage des Vereins Jüdischer Kulturweg.

 

 

 

 

im Restaurant Krone
im Restaurant Krone
Synagoge Lengnau
Synagoge Lengnau
Vor dem jüdischen Friedhof
Vor dem jüdischen Friedhof
doch noch ein paar Regentropfen...
doch noch ein paar Regentropfen...
Kindergräber
Kindergräber
hier ruht
ein rechtschaffener und anständiger (aufrechter) Mann
Benjamin ben Jakob seligen Angedenkens
Wyler von Aarau verstorben
am 2. Marcheschwan 5690
Möge seine Seele eingeschnürt sein im Beutel der Lebenden.
Marcheschwan ist ein jüdischer Monat (ca. Oktober/November) und 5690 entspricht unserem Jahr 1929. Die 5 Buchstaben der untersten Zeile, die auf (fast) allen Gräbern zu finden sind, sind die Anfangsbuchstaben der Segensworte, nach 1Sam 25,29. Übersetzt und erklärt hat mir das Eva Keller, meine Hebräisch-Lehrerin, denn meine Kenntnisse reichen noch nicht gar so weit...
hier ruht ein rechtschaffener und anständiger (aufrechter) Mann Benjamin ben Jakob seligen Angedenkens Wyler von Aarau verstorben am 2. Marcheschwan 5690 Möge seine Seele eingeschnürt sein im Beutel der Lebenden. Marcheschwan ist ein jüdischer Monat (ca. Oktober/November) und 5690 entspricht unserem Jahr 1929. Die 5 Buchstaben der untersten Zeile, die auf (fast) allen Gräbern zu finden sind, sind die Anfangsbuchstaben der Segensworte, nach 1Sam 25,29. Übersetzt und erklärt hat mir das Eva Keller, meine Hebräisch-Lehrerin, denn meine Kenntnisse reichen noch nicht gar so weit...
Doppelgräber gibt es nur selten
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Grabplatten vom ehemaligen Friedhof auf der Rheininsel
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 Der Friedhof ist ein unreiner Ort. Wenn man geht, wäscht man sich die Hände.
Der Friedhof ist ein unreiner Ort. Wenn man geht, wäscht man sich die Hände.
 Gräber von drei Rabbinern, denen auch Wunder- bzw. Heilkräfte nachgesagt werden.
Gräber von drei Rabbinern, denen auch Wunder- bzw. Heilkräfte nachgesagt werden.
Empore der Synagoge Endingen
Empore der Synagoge Endingen
Tora-Rolle (keine kostbare, "nur" eine gewöhnliche)
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Tora-Schrein
Tora-Schrein
Und schon wieder im Bus und auf dem Heimweg!
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