Prof. Dr. Sabine Bieberstein

Die Mitgliederversammlung 2008 fand am 31. Mai wie gewohnt im Seminar St. Beat in Luzern statt. Unsere Referentin diesmal war Prof. Dr. Sabine Bieberstein, vielen TKL-AbsolventInnen bestens bekannt.

Das Protokoll des offiziellen Teils finden Sie hier. Und auf dieser Seite lesen und sehen Sie, was am 31. Mai vor und nach dem offiziellen Teil zu erleben war:

Begrüssung

Bei Gipfeli und Kaffee wurden die nach und nach eintreffenden Mitglieder herzlich begrüsst. Auch wenn es während der „Anwärmphase“ noch eher ruhig und etwas schüchtern zu und her ging, wurde es nach und nach lebhafter, Zeichen dafür, dass sich (hoffentlich) alle bald wohl fühlten.

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Einstimmung

Mit der besinnlichen Einstimmung vor dem offiziellen Teil, wies der Präsident Alois Schaller zum ersten Mal auf die Person des Tages hin, nämlich Paulus und zeigte eine Filmsequenz zu Gal 2,11 ff: Paulus und Petrus begegnen sich in Antiochia, dort weigert sich Petrus plötzlich mit Heidenchristen gemeinsam zu essen. Sein Verhalten entrüstet die Leute und macht sie traurig, weil sie die christliche Gemeinschaft doch vor allem so schätzten, weil es „nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich gibt, denn alle sind „eins“ in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Die ungefähr viertelstündige Spielszene zeigte, dass die Probleme heute noch dieselben sind, wie vor 2000 Jahren: wer gehört dazu? wer ist eingeladen? wer nicht? – eigentlich eine traurige Tatsache!

So kurz der Film auch war, er entführte uns in eine andere Welt und machte es den Anwesenden nicht leicht, wieder in der Wirklichkeit anzukommen, um sich mit den ganz gewöhnlichen Geschäften, die so eine Vereinsversammlung eben mit sich bringt, zu befassen.

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Mitgliederversammlung

In gewohnt zügiger Weise führte unser Präsident Alois Schaller durch den offiziellen Teil der Mitgliederversammlung. Hier sei nur das wichtigste kurz erwähnt, Details entnehmen Sie bitte dem Protokoll.

Da Bruno Hasler auf Ende 2007 aus dem Vorstand austrat, wurde ein neues Vorstandsmitglied gesucht und in der Person von Hansruedi Herzog aus Teufen auch gefunden. Er wurde von der Mitgliederversammlung einstimmig gewählt.

Wichtig ist auch ein Blick auf das Jahresprogramm: am 23. August werden wir die Bibelgalerie in Meersburg besuchen und am 22. November einen Ausflug nach Chur machen, wo wir eine Führung durch die neu renovierte Kathedrale machen werden und anschliessend bei einem Umtrunk in den Genuss einer Lesung aus dem Buch „Kirchengeschichten“ von und mit Prof. Albert Gasser kommen. Details und Anmeldung unter Veranstaltungen.

Da es keine grösseren Geschäfte, die zu Diskussionen Anlass gegeben hätten, zu besprechen gab, konnte Alois Schaller den offiziellen Teil bereits um 11.45 Uhr abschliessen.

Mittagessen

Zum Mittagessen versammelten wir uns im grossen Speisesaal. Die Lautstärke war um einige Dezibel höher als noch am Morgen beim Begrüssungskaffee, ein gutes Zeichen, dass man/frau sich gefunden hatte und sich bestens unterhielt! – Nach dem Essen blieb noch ein wenig Zeit für einen Verdauungsspaziergang im nahen Park. So gegen 14 Uhr versammelten sich aber alle wieder im Vortragssaal um das Referat von Prof. Dr. Sabine Bieberstein zu hören.

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Nur ‚Schweigen, Schmuck und Schleier‘? – Frauen in den ersten christlichen Gemeinden

Woran denken wir, wenn wir an Paulus und die Frauen denken? Kommt uns der Korintherbrief in den Sinn, in dem steht, dass die Frauen im Gottesdienst schweigen und sich unterwerfen sollen (1Kor 14,33b-35)? Oder denken wir eher daran, dass er schrieb „es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr seid alle „eins“ in Christus Jesus“ (Gal 3,28)?

Diese beiden widersprüchlichen Texte werfen Fragen auf. Haben die Frauen tatsächlich geschwiegen? Oder gerade nicht? Wie passen diese beiden Texte überhaupt zusammen? Sabine Bieberstein zeigte ganz kurz den Weg auf, den die feministische Exegese gegangen ist, um solche Fragen zu beantworten:

Zuerst ist die Erinnerung an Frauengestalten, Frauenwirklichkeiten, dann die Entwicklung einer kritischen Hermeneutik und schliesslich eine Neubuchstabierung zentraler theologischer Themen.

Um den Frauen in den ersten christlichen Gemeinden auf die Spur zu kommen, liest Sabine Bieberstein die Grussliste am Ende des Römerbriefes vor (Röm 16,1-16). Unter den erwähnten Leuten sind ungefähr 1/3 Frauen, nämlich: Phöbe, Priska, Maria, Junia, Tryphäna, Tryphosa, Persis, die Mutter des Rufus, Julia und die Schwester des Nereus. Dass diese Frauen nicht nur einfach „Anhängsel“ der ebenfalls erwähnten Männer sind, sondern wichtige Funktionen inne hatten, zeigte Sabine Bieberstein im Folgenden auf.

Phöbe, zum Beispiel, wird als Diakonin und Vorsteherin/Patronin bezeichnet. Das Amt des Diakons im heutigen Amtsverständnis, gab es damals zwar noch nicht, aber „Diakonos“ bezeichnete eine Person, die in einer Gemeinschaft oder einem Verein wichtige Aufgaben übernahm. Mit „Prostatis“ (Vorsteherin/Patronin) wurden jene bezeichnet, die in leitender Position für andere Verantwortung übernahmen. Zudem muss Phöbe die Überbringerin des Römerbriefes sein.

Von Priska und Aquila (die Frau wird durchs Band zuerst genannt!) erzählt auch die Apostelgeschichte: Sie wurden aus Rom vertrieben, kamen nach Korinth, wo sie Paulus kennenlernten und reisten wieder zurück nach Rom, wo Phöbe sie treffen soll. Paulus bezeichnet Priska und Aquila als „synergoi“, als Menschen, die in der Verkündigung der frohen Botschaft von Jesus mitarbeiten.

Über Maria, Tryphäna, Tryphosa und Persis schreibt Paulus, sie hätten sich im Herrn abgemüht. Paulus benutzt dieses Verb auch für sich selber und für all jene, die ihr Leben in den Dienst des Messias stellten.

Junia wird als Apostelin bezeichnet und wurde später bis zur heutigen Einheitsübersetzung zu einem Mann: Junias.

Wenn man also die Grussliste genau liest und sich mal Gedanken darüber macht, was denn da genau steht, werden Frauen sichtbar. Frauen, die ihr Haus zur Verfügung stellten, die Gemeinden leiteten, Verantwortung trugen, das Evangelium verkündeten, die Apostelinnen, Diakoninnen und Vorsteherinnen genannt werden, keineswegs also „nur“ stille Hintergrundarbeiterinnen waren – obwohl es diese selbstverständlich auch gab, keine Gemeinschaft funktioniert ohne sie! Übrigens lassen sich Titel wie Diakonin, Vorsteherin, Prophetin, Lehrerin oder Bischöfin kirchengeschichtlich noch lange nachweisen, waren also nicht nur in den frühen Gemeinden üblich!

Die Grundlagen zu diesen Ämtern und Gleichheit aller finde sich in der Tauftheologie des Paulus, erklärte Frau Bieberstein. Mit der Taufe, so Paulus im Galaterbrief, haben alle Christus als Gewand angelegt, und „es gibt nicht mehr Juden und Christen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid „einer“ in Christus Jesus.“ (Gal 3,26-29). In der Taufe wird auch allen der Geist Gottes und die Gnadengaben geschenkt, die zum Nutzen aller gebraucht werden sollen (1Kor 12,1-11).

In den Gemeinden hatte das natürlich dramatische Folgen und nicht alle konnten das so ohne weiteres akzeptieren, so dass es zu Streitfällen kam, wie z.B. 1Kor 11,2-16 zeigt. Dieser Text – gegen den Strich gelesen – zeigt, dass es in Korinth Frauen gab, die öffentlich, laut und vernehmlich beteten und prophetisch redeten! Das wird im Text nicht in Frage gestellt, diskutiert wird nur, wie die Frauen das tun. Es geht um Äusserlichkeiten, um Fragen der Sitte, was als schicklich gilt und was nicht. Die Vehemenz aber, mit der Paulus argumentiert – er bemüht die Schöpfungsordnung und die Engel – lässt vermuten, dass es doch um mehr als um Mode ging, nämlich um Macht! Die Prophetinnen und Beterinnen, die mit ihrem Auftreten vieles bewirkten, mussten in ihre Schranken verwiesen werden!

Nachpaulinische Texte, wie z.B. der Einschub 1Kor 14,33b-35, dass die Frauen im Gottesdienst schweigen sollen, oder einige Stellen aus den Pastoralbriefen, z.B. „Die Frau soll in Ruhe lernen, in aller Unterordnung. Zu lehren aber gestatte ich der Frau nicht. Auch nicht, sich über den Mann zu erheben – sie hat sich ruhig zu verhalten.“ (1 Tim 2,11), widersprechen den vorher erwähnten Paulus-Texten diametral. Das entlastet zwar Paulus, aber sie konnten ihre verheerende Wirkung trotzdem im Namen und der Autorität des Paulus über Jahrhunderte in den Kirchen entfalten.

Wer jetzt aber denkt, dass zu Beginn der neutestamentlichen Tradition für die Frauen noch alles wunderbar war und erst später sei so repressiv gegen die Frauen vorgegangen, macht es sich zu einfach. Wie wir ja gehört haben, hat es auch zu Paulus Zeiten schon Konflikte gegeben und aus späterer Zeit gibt es noch viele positive Beispiele, z.B. im Johannes-Evangelium die Samaritanerin am Jakobsbrunnen oder Maria Magdalena, oder die Thekla-Akten aus dem 2. Jahrhundert, die keinen Eingang in die Bibel gefunden haben.

Aus jeder Zeit gibt es ermutigende Frauentraditionen! Die Frage ist nur, welche Traditionen setzen sich durch? Welche Macht geben wir welchen Texten? Wie lesen und erzählen wir Geschichte(n), damit sie Frauen nicht unsichtbar macht oder ausschliesst?

Es liegt auch an uns! Lesen wir also die Bibel wieder öfter „gegen den Strich“! Erzählen wir Geschichte(n) so, dass auch die Stimmen der Opfer wieder hörbar werden, denn die Art und Weise, wie wir Geschichte(n) erzählen, hat Auswirkungen aufs Heute und für die Zukunft!

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Diskussion und Fragen

Nach dem spannenden Referat bestand natürlich auch die Möglichkeit, noch Fragen zu stellen. Einige Votantinnen bedauerten, dass die frauenfeindlichen Texte derart viel stärker gewichtet wurden und wir heute noch dagegen ankämpfen. Sabine Bieberstein betont darauf noch einmal, wie wichtig es ist, Frauen wieder sichtbar zu machen und den frauenfreundlichen Texten mehr Macht zu geben.

Jemand meinte, in letzter Zeit seien in der katholischen Kirche doch vor allem Männer zum Schweigen gebracht worden, worauf Sabine Bieberstein sagte, dass auch Frauen – halt weniger lautstark – zum Schweigen gebracht wurden und werden, z.B. indem bei Professuren und bei Berufungen an Unis die Frauen nicht zum Zug kommen.

Der Vortrag hat wohl alle zum Nachdenken angeregt und viele werden nun Paulus – die Bibel überhaupt – anders und öfter mal „gegen den Strich“ lesen und so vielleicht noch einige mutige und selbstbewusste Frauen mehr entdecken!

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Bericht und Bilder: Barbara Fleischmann