Die Mitgliederversammlung 2009 fand am 28. März im Seminar St. Beat statt, ganz wie gewohnt. Unser Gast war Bischof Ivo Fürer.

Das Protokoll des offiziellen Teils finden Sie hier. Und auf dieser Seite lesen und sehen Sie, was am 28. Märzi vor und nach dem offiziellen Teil zu erleben war:

Bericht zur Mitgliederversammlung

Begrüssung

Bei Gipfeli und Kaffee werden die nach und nach eintreffenden Mitglieder herzlich begrüsst. Der Platz rund um die beiden grossen Tische wird bald knapp, denn es haben sich einige Mitglieder mehr angemeldet als auch schon.

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Einstimmung

Mit der besinnlichen Einstimmung vor dem offiziellen Teil, geht unser Präsident Alois Schaller zum ersten mal auf das Thema des Tages, das Konzil, die Synode 72, ein. Wir hören Texte zum allerersten Konzil, dem Apostelkonzil. Marisa Janser und Hansruedi Herzog lesen die entsprechenden Stellen aus der Apostelgeschichte und aus Paulus‘ Galaterbrief vor. Per Video verfolgen wir das Konzil dann auch noch am Fernsehen. Die gespielte Szene führt vor Augen, wie es hätte sein können, wie Petrus, Paulus und die andern Apostel schon damals um Antworten rangen wie es schon damals „konservative“ und „progressive“ Christen gab, dass es schon damals nicht so einfach war, einen gemeinsamen Weg zu finden. Dass sie sich einigen konnten ist unser Glück, wäre der „progressive“ Paulus vom eher „konservativen“ Jakobus zurückgebunden worden, wäre das Christentum wohl eine Fussnote der Geschichte geblieben…

Offizieller Teil

In gewohnt zügiger Weise führte unser Präsident Alois Schaller durch den offiziellen Teil der Mitgliederversammlung. Details entnehmen Sie bitte dem Protokoll.

Mittagessen

Zum Mittagessen versammelten wir uns im grossen Speisesaal. Die Lautstärke war um einige Dezibel höher als noch am Morgen beim Begrüssungskaffee, ein gutes Zeichen, dass man/frau sich gefunden hatte und sich bestens unterhielt! – Einige wagten sich nach dem Essen für einen kurzen Spaziergang in den Park, aber das eher trübe und nasse Wetter lockte nicht wirklich, so dass die meisten Mittagsgespräche in der Cafeteria fortgesetzt wurden.

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So gegen 14 Uhr versammelten sich aber alle wieder im Vortragssaal um das Referat von Bischof Ivo Fürer zu hören.

Referat von Bischof Ivo Fürer
„Aufbruch in die Zukunft – Synode 72: Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils in den Schweizer Diözesen.“

Alois Schaller begrüsste den Gast und erzählte, dass es sich bei diesem Besuch quasi um ein Weihnachtsgeschenk handle, da Bischof Ivo ihn nach einem Gottesdienst in der Weihnachtszeit fragte, ob er ihn nicht mal durch den Bibelgarten führen würde (für Nicht-Informierte: beide sind in Gossau SG zu Hause). Er habe die Chance beim Schopf gepackt und gleich einen Deal abgeschlossen: Bibelgartenführung für den Bischof gegen einen Vortrag für den Freundeskreis. Ein Weihnachtsgeschenk für beide! Und für uns!

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Bischof Ivo beginnt damit, dass er mit leisem Bedauern feststellt, dass die Synode 72 den Jüngeren kaum mehr ein Begriff sei, und sie sich auch unter dem Konzil nichts Konkretes mehr vorstellen könnten und darum auch nicht wüssten, was das heisst, wenn man sich auf das II. Vaticanum beruft.

Das II. Vatikanische. Konzil

In eindrücklicher Weise erklärt Bischof Ivo die Umstände der damaligen Zeit – man hört den Weltbürger, der gewohnt ist, über die engen Grenzen hinaus zu denken: der zweite Weltkrieg noch nicht lange vorbei, die Kolonialstaaten in Afrika, Asien und Lateinamerika, die unabhängig wurden – ein Aufbruch und Neuanfang, an den wir hier eher selten denken – der Wiederaufbau in Europa. Kurz: Aufbruchstimmung überall, nicht nur in der Kirche.

Die wichtigen Themen des Konzils kamen nicht von ungefähr, das Dekret über die Religionsfreiheit, zum Beispiel, sei auf dem Hintergrund der Angst vor dem Kommunismus, der Trennung von Kirche und Staat, der Freiheit der Kirchen zu verstehen. Oder die Konstitution über die Liturgie auf der Tatsache, dass sich schon in den 20er und 30er Jahren namhafte Theologen (z.B. Karl Rahner, Yves Congar, Hans-Urs von Balthasar) fragten, ob die neuscholastische Theologie nicht weit weg vom Verständnis der Menschen sei, dass eine Theologie von der Verkündigung her gedacht verständlicher sei, als die bisher von der Philosophie her gedachte Theologie.

Andere wichtige Stichworte fallen: Primat des Papstes – was heisst das für ein Konzil? Oder Hierarchie der Wahrheiten (ein Begriff von Prof. Feiner). Was ist nötig zur Einheit der Kirche, was trägt zu dieser Einheit bei?

Die Zeit nach dem Konzil

Nach den einführenden Bemerkungen zum Konzil kam Bischof Ivo auf die Zeit nach dem Konzil zu sprechen. Die Aufbruchstimmung hielt an und die Bischöfe, Priester und Laien machten sich überall an die Arbeit. Bischofskonferenzen wurden gebildet (vor dem Konzil gab es erst wenige, jene der Schweiz ist eine der ältesten). Es fehlten natürlich noch Richtlinien und Ausführungsbestimmungen. Aber keiner wartete lange darauf, man machte einfach und fragte nicht lange. Die Liturgiereform wurde umgesetzt, Seelsorge- Priester- und Pfarreiräte wurden gegründet. Synoden, wie die Synode 72 bei uns in der Schweiz, fanden überall statt.

Die Synode 72

Es wurde ein Synodenmodell für die Schweiz erarbeitet. Dieses sah vor, dass Synodendokumente gemeinsam auf schweizerischer Ebene erarbeitet werden sollen. Sie wurden den einzelnen Diözesansynoden vorgelegt und von ihnen besprochen und dann auf gesamtschweizerischer Ebene verabschiedet. Um das alles zu ermöglichen, wurden die Diözesansynoden an den gleichen Tagen abgehalten. Die Bischofsdelegierten standen täglich in Kontakt miteinander und informierten sich über Anträge und Beschlüsse. Was dies in der Zeit vor Internet, E-mail und Handy an Aufwand und Zeit bedeutete, lässt sich nur erahnen…

Vor Beginn der Synode wurde übrigens eine Synodenbefragung durchgeführt. Ende 1969 liessen die Bischöfe über 1,3 Mio. Briefe an die Gläubigen verteilen und forderten sie auf, ihre Anregungen einzugeben. Es kamen so viele Antworten, dass in der Bischofswohnung von St. Gallen eine Wäschezeine für den Briefträger bereit gestellt wurde… Nach dieser langen und intensiven Arbeit wurden die 12 Themen für die Synode 72 festgelegt:

1. Glaube und Glaubensverkündigung heute
2. Gebet, Gottesdienst und Sakramente im Leben der Gemeinde
3. Planung der Seelsorge in der Schweiz
4. Kirche im Verständis des Menschen von heute
5. Ökumenischer Auftrag in unseren Verhältnissen
6. Ehe und Familie im Wandel unserer Gesellschaft
7. Verantwortung des Christen in Arbeit und Wirtschaft
8. Soziale Aufgaben der Kirche in der Schweiz
9. Beziehung zwischen Kirche und politischen Gemeinschaften
10. Mitverantwortung der Christen für die Missionen, die Dritte Welt und den Frieden
11. Bildungsfragen und Freizeitgestaltung
12. Information und Meinungsbildung in Kirche und Öffentlichkeit

Die Texte der Synode 72 sind Zeugen einer einmaligen Gesamtschau der katholischen Kirche in der Schweiz. Sehr viele Themen sind auch heute noch in der Diskussion.

Die Bischofskonferenz gab sich im Anschluss an die Synode 72 Mühe, die Empfehlungen in geeigneter Weise weiterzuleiten. Bei der Erarbeitung des neuen CIC 1983 (Codex Iuris Canonici, Gesetzbuch der Kirche) wurden die Empfehlungen der Synode 72 aufgenommen, sind aber leider nicht immer bis zu den päpstlichen Instanzen durchgedrungen…

Die Synode 72 war ein Grossereignis. Aktiv als Synodale oder in Kommissionen haben schätzungsweise 1500 Personen teilgenommen. Die Synodalen lebten und arbeiteten zwischen 1972 und 1975 an 30 bis 40 Tagen zusammen. Daraus entstand ein grossartiges Netz aktiver Christen, für deren Leben das Synodenereignis eine wichtige Rolle spielte oder immer noch spielt.

Und heute?

Der Grosseinsatz der Kirche in der Schweiz in der Synode 72 war möglich wegen der speziellen Situation von Kirche und Gesellschaft in der damaligen Zeit. Es wäre nicht realistisch, ein solches Unternehmen zu wiederholen, in der Hoffnung einer Erneuerung der Aufbruchstimmung.

Besuchten 1972 noch 43% der über 16jährigen Katholiken in der damaligen BRD jeden Sonntag einen Gottesdienst, 19% fast jeden Sonntag, 13% selten und nur 6% nie, sind heute wesentlich weniger Leute noch aktiv mit dabei, die Voraussetzungen also total anders.

Trotzdem sind natürlich auch heute brennende Fragen auf dem Tisch: Ehe, Familie Sexualität; und innerkirchlich z.B. Bischofsernennungen, fehlende Kollegialität der Bischöfe, Zentralisierungstendenz der römischen Kurie, Rückschritt statt Fortschritt, …., ….

Zum Schluss dieses Berichtes möchte ich Bischof Ivo zitieren: „Als Präsident der Vorbereitung und Durchführung der Synode 72 in der Schweiz hatte ich sehr oft das Gefühl, es gehe mir wie Abraham, ich sei unterwegs in ein Land, das ich nicht kenne. Ich vertraute darauf, dass Gott die Führung übernimmt. Ich denke, dass wir mit grosser Sensibilität für die Aufgaben, vor die Gott uns stellt, uns einsetzen und vertrauensvoll die Wege in die Zukunft gehen, auch wenn wir uns das Ziel nicht vorstellen können.“

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Nach dem Referat hatten wir die Möglichkeit noch Fragen zu stellen. Gefragt wurde nach dem Frauenpriestertum (war an der Synode kaum Thema) und dem Zölibat (dieses sehr wohl), oder danach, ob „Rom“ überhaupt noch gehört werde, worauf Bischof Ivo ganz offen meinte, dass Papst Benedikt keinen grossen Kontakt habe mit der Realität…
Und zwar sei heute die technische Kommunikation um einiges leichter als zu Zeiten des Konzils oder der Synode, aber im zwischenmenschlichen Bereich, da hapere es gewaltig.

Auch Bischof Ivo hat kein Rezept gegen die momentane Krise, Aufbruch kann nicht angeordnet (aber verhindert…) werden. Aber um nochmal auf Abraham zurück zu kommen: er hat sich führen lassen und ist Umwege gegangen, hat sich geirrt und auch mal „Mist gebaut“, gerade das macht ihn so menschlich, gerade darum ist er so sympathisch. Lassen wir uns also führen, durch die momentane kirchliche Wüste, laben wir uns an den Oasen, die es durchaus gibt (die Treffen des Freundeskreises sind solche 😉 und hoffen wir, dass wir (trotz allem oder erst recht!) in eine bessere kirchliche Zukunft unterwegs sind!

Bericht und Bilder: Barbara Fleischmann