St. Galler Klosterplan (Campus Galli)

Samstag, 1. Oktober 2022

Ein perfekter Tag für einen Ausflug in ein Museum, regnerisch, trüb, kühl… So dachten nicht nur wir, sondern eine ganze Menge anderer Leute. Entsprechend gut besucht war der Stiftsbezirk St. Gallen.

Fotografieren ist leider verboten, darum wird das ein Beitrag gänzlich ohne Bilder.

Der Vorteil einer Führung ist, dass immer jemand da ist, der trotz der vielen Besucher Platz schafft und die Gruppe so gut sehen kann, was es da zu sehen gibt. Herr Kemmer, bischöflicher Arichvar, führte uns zuerst zum Raum, wo der original Klosterplan zu sehen ist. Ein erster Höhepunkt des Tages. In einer gut animierten kleinen Show wird erklärt, was sich die Leute, die den Plan gezeichnet haben, wohl gedacht haben. Es wird sehr schön aufgezeigt, wie genial und praktisch die Anlage geplant war. Sie ist so zwar nie realisiert worden, entspricht aber dem perfekten Kloster, wo alles vorhanden ist, um möglichst autark leben zu können. Von der Kirche über Häuser für die Mönche, für Gäste, diverse Gebäude für Handwerker (Backstube, Schmiede, etc.) Ställe für Tiere, Gärten, ein Spital bis zum Friedhof ist einfach an alles gedacht. Zum Schluss der Vorführung ist der Klosterplan für 20 Sekunden zu sehen.

Wir erfuhren auch so einiges aus der Geschichte der Bistumsheiligen, Gallus zum Beispiel, der sich seinem Abt Kolumban widersetzte, nicht mit ihm weiterreisen wollte. Ungehorsam wird bestraft, Gallus durfte keine Messe mehr feiern bis zum Tod des Abts, erst dann wird die Kirchenstrafe aufgehoben. Am Bodensee gab es bereits eine christliche Gemeinschaft, wo Gallus aber nicht bleiben durfte, aber Einsiedler im Wald sein, das geht immer. So ist Gallus an den Ort gekommen, wo heute St. Gallen ist. Abt Kolumban lebte nur noch drei Jahre, dann war für Gallus die Strafe aufgehoben. In der Gallus-Vita steht, dass Gallus am Abreisetag des Kolumban hohes Fieber bekommen habe, und deshalb nicht mitreisen konnte. Denn es geht natürlich nicht, dass einem Heiligen Ungehorsam nachgesagt wird.

Das Kloster gegründet hat dann später der Heilige Othmar, dessen Geschichte aber eher etwas blass wirkt neben derjenigen von Gallus. Für das Kloster und vor allem für die  Bibliothek sehr wichtig ist auch die Heilige Wiborada, die allererste kanonisch heiliggesprochene Frau überhaupt. Sie war eine Inklusin, lebte jahrelang eingemauert in ihrer Zelle. Sie hatte Visionen und warnte die Mönche vor einem Angriff der Ungarn. Sie sollen die Bücher auf die Reichenau bringen, was diese auch taten und als dann im Jahr darauf die Ungarn tatsächlich kamen, waren die kostbare Bibliothek in Sicherheit.

Der Wert dieser Bücher war unermesslich. Es brauchte nicht nur sehr viel Zeit um sie zu schreiben, um Pergament herzustellen, mussten auch viele Schafe und Ziegen dran glauben. So im Verhältnis zu heute sei so ein Buch im Preis ungefähr im Rahmen eines Autos gewesen. Auch unter Büchern gab es wohl Smarts und Rolls Royces…

In der Stiftsbibliothek ist momentan die Ausstellung zu Notker, dem Deutschen zu sehen. Anlass ist der 1000. Todestag des Gelehrten. Er starb im Jahr 1022. Er war übrigens kein Deutscher, sondern aus der Gegend (Deutschland gab es damals so noch gar nicht), sein Name kommt daher, dass er einer der ersten war, der Bücher ins Deutsche übersetzte. Ein Exemplar konnten wir uns anschauen, und Herr Kemmer las uns einen Satz daraus vor. Wir verstanden kein Wort. Deutsch damals und deutsch heute sind unterschiedliche Sprachen! Er erklärte uns auch, dass es überhaupt ein Wunder sei, dass noch  Bücher und Textstücke erhalten sind, vor allem, weil sie kaum gebraucht wurden. Der Dialekt, der in St. Gallen gesprochen wurde, sei wohl in Augsburg noch knapp verstanden worden, in Köln aber kaum mehr. Latein hingegen war die Sprache die überall verstanden wurde. Und auch heute noch werden diese alten Texte von Lateinern verstanden, was man von Texten in deutscher Sprache aus derselben Zeit nicht behaupten kann.

Bücher, die nicht mehr gebraucht werden, landen heute im besten Fall in einem Antiquariat oder in der Bücherbrocki. Damals war Pergament so kostbar, dass die Bücher auseinandergenommen wurden, das Pergament gereinigt, z.B. in Milch eingelegt wurde, das löst die Tinte, oder sie wurde mit Bimsstein abgeschabt – Pergament hält eine Menge aus! – und dann neu beschrieben.

Darum sind auch die wenigen irischen Textblätter, die in der Stiftsbibliothek erhalten geblieben sind, solche Kostbarkeiten. Die Iren hatten eigene Buchstaben, die irgendwann niemand mehr lesen konnte.

Über 30’000 Bücher gibt es in der Stiftsbibliothek, alte und auch neuere, die man ausleihen kann. Im schönen Bibliothekssaal fällt auf, dass unten die grossen Bücher stehen, weiter oben die kleineren. Bibliotheken sind immer auch Prestigeobjekte und sollen schön und geordnet aussehen. Darum ist es nicht möglich, die Bücher zum Beispiel alphabetisch einzuordnen – was natürlich fürs Auffinden einzelner Exemplare sehr hilfreich wäre. Es braucht zwingend den Bibliothekar, der sich auskennt und weiss, wo was zu finden ist. In der Wand, bzw. in Säulen zwischen den Gestellen sind versteckt Tafeln eingelassen, auf denen zu lesen ist, was wo zu finden ist. Auch sind die Bücher alle hinter Gittern, nicht unbedingt, weil sie alle so kostbar sind, sondern weil sie auf Besucher kostbar wirken sollen, erklärt uns Herr Kemmer.

Zur Stiftsbibliothek gehört auch Schepenese, die ägyptische Mumie. Schepenese war wohl die Tochter eines Amunpriesters. Sie kam zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Schweiz und wurde 1836 von der Stiftsbibliothek erworben. Seither gehört sie dazu.

Ebenfalls bekannt ist der schöne Globus, der in der Bibliothek steht. Es ist zwar „nur“ eine Kopie, das Original steht im Landesmuseum in Zürich. Es stammt aus dem 16. Jahrhundert und wurde im Laufe der Villmergerkriege von den Zürchern gestohlen. Lange war das kein Thema mehr, bis in den 1990er Jahren die St. Galler ihren Globus zurück haben wollten. Sogar der Bundesrat musste intervenieren und schliesslich einigte man sich auf einen Kompromiss: das Original bleibt im Landesmuseum, die Stiftsbibliothek bekam eine originaltreue Kopie, die mit Mitteln aus der damaligen Zeit angefertigt wurde. Sie kostetet eine Million Franken, berichtete Herr Kemmer. Und sieht noch farbiger und frischer aus, als das etwas verblasste Original. Jedenfalls sehr erstaunlich, dass da Amerika bereits recht gut abgebildet ist, obwohl der Kontinent damals gerade erst entdeckt wurde. In einem Nebensatz erwähnt Herr Kemmer, dass es von Notker einen Text gibt, der einen Globus erwähnt. Es sei also erwiesen, dass schon damals Gelehrte wussten, oder zumindest ahnten, dass die Erde keine Scheibe ist.

Zum Schluss besuchten wir noch den Gewölbekeller. Dort sind ganz besondere Objekte ausgestellt. Sofort fällt eine grosse goldene Monstranz auf, die aber laut Herr Kemmer gar nicht soo kostbar ist, weil sie für die Barockzeit doch eigentlich recht einfach ist. Viel kostbarer sei der unscheinbare silberne Löffel daneben. Es sei der Löffel, den Gallus höchstpersönlich benutzte. Er ist aus Holz und später mit Silber überzogen worden, damit er für liturgische Zwecke gebraucht werden konnte. Den Mönchen wurde damit bei der Kommunion der Wein aus dem Kelch gereicht.

Auch ganz besonders kostbare Bücher sind dort ausgestellt, Bücher mit kostbaren Einbänden, aus Elfenbein geschitzt, mit Edelsteinen verziert. Die Schnitzereien sind von Tuotilo, ein weiterer Bistumsheiliger, von dem wohl die wenigsten schon gehört haben. Sie sind wirklich wunderschön und mit extrem feinen kleinen Details (unter Tuotilo sind sie abgebildet).

Die Führung dauerte über 2 Stunden, die Zeit verflog nur so. Es war wirklich sehr interessant und spannend und animiert, wieder mal nach St. Gallen zu fahren und sich das ganze nochmal in Ruhe anzuschauen. Mit Vorteil vielleicht an einem sonnigen Tag, so dass weniger Volk im Museum unterwegs ist.

Alles zum Stiftsbezirk findest du hier.