Antje Schrupp

29. September 2023

Dieser spannende Nachmittag wurde von der Paulus Akademie und dem Verein theologiekurse.ch (nicht zu verwechseln mit dem Verein freundeskreis-theologiekurse.ch) gemeinsam organisiert. Das einleitende Referat kam von Antje Schrupp, evangelische Theologin und Journalistin. Im zweiten Teil gaben Sr. Ingrid Grave, Dominikanerin, und Stephan Wyss, Philosoph und Theologe, spannende Inputs zum Thema Zeit.

„Zeit ist eine zentrale Resscource unserer Gesellschaft. Doch Arbeit und Leistungsdruck dominieren das Leben, sodass nur wenig Zeit bleibt für soziale Beziehungen, Erholung oder gar fürs Faulenzen. Mit unserem ständigen Beschäftigt- und Tätigsein belasten wir nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Umwelt.“

Doris Strahm aus dem Vorstand des Vereins theologiekurse.ch – und unser Ehrenmitglied – führte zusammen mit Veronika Bachmann, Leiterin Fachbereich Religion und Theologie an der Paulus Akademie, durch den Nachmittag.

Doris Strahm

Das Hauptrefererat kam von Antje Schrupp. Ihr Aufruf „werdet fauler“ lockte neben einigen Mitgliedern des Freundeskreises auch viele andere Leute in die Paulus Akademie. Ich versuche hier ein paar Gedanken aus dem Vortrag kurz anzusprechen, das was mir wichtig ist, und somit noch in Erinnerung.

Antje Schrupp

Themen der Diskussionsrunde

Zu viel Arbeit ist klimaschädlich

Das erste, das mir ein staundendes „Oh!“ entlockt hat, ist die Tatsache, dass mehr als 6 Stunden Arbeit pro Woche klimaschädlich sind. Auch wenn mir nicht ganz klar ist, wie man darauf kommt, 6 Stunden irgendwo die Umwelt zubetonieren ist wohl schädlicher als 6 Stunden in einem Spital Kranke pflegen. Oder ist das schon wieder Care-Arbeit, die irgendwie anders zählt? – Wie auch immer. Zum Nachdenken angeregt hat es auf jeden Fall. Es geht ja nicht eigentlich um die 6 Stunden, sondern um den Kapitalismus und das Immer-mehr-wollen, immer mehr leisten müssen.  Wirtschaftswachstum um jeden Preis.  Ermutigend ist in diesem Zusammenhang, das die sogenannte Generation Z das nicht mehr unbedingt mitmacht. Immer wieder hört und liest man, dass die Jungen nicht mehr 100% arbeiten wollen, dass sie Zeit mit der Familie, Zeit für Hobbys, etc. wichtiger finden, als viel zu verdienen.

Faulheit muss man sich leisten können

Aber: das muss man sich auch leisten können. Viele, egal welchen Alters, verdienen schlicht nicht genug zum Leben, wenn sie weniger als 100% arbeiten. Manche Working-Poor verdienen sogar mit 100% noch zu wenig zum Leben…

Themen der Diskussionsrunde

Protestantische Arbeitsmoral

An einem Nachmittag unter Theolog/innen kommt natürlich auch der religiöse Aspekt von Faulheit zur Sprache. Faulheit ist Sünde. Reichtum ein Zeichen, dass du es richtig gemacht hast, dass Gott mit dir zufrieden ist und dich und deine Arbeit segnet. So jedenfalls lautete die Devise von zum Beispiel Calvin. Und das wirkt bis heute nach. Nicht nur in religösen Kreisen.

 

Themen der Diskussionsrunde

Care-Arbeit und Gender

Ebenfalls zur Sprache kam die soziale Arbeit. Noch immer sind es die Frauen, die mehrheitlich für die Kinder sorgen oder für pflegebedürftig gewordene Eltern. Es sei erwiesen, dass Männer vor allem machen, was für sie rentiert und den Frauen gern überlassen, was nicht direkt Profit bringt. Antje Schrupp findet Care-Arbeit kein wirklich gutes Wort, denn mit Arbeit sei fast immer Produktion verbunden, Care-Arbeit hingegen ist häufig einfach Dasein, dabei sitzen, zuhören, etc. Der Aufruf „werdet fauler“ gelte also vor allem der Produktion, dem Konsum und keinesfalls der Care-Arbeit.

Mütter hätten zudem viel weniger „Me-Time“, also Zeit für sich als Männer. Vom Moment der Geburt eines Kindes weg, ist die Frau nicht mehr Herrin ihrer Zeit. Immer kommt ab da zuerst das Kind. So wird das auch heute noch von der Gesellschaft quasi erwartet. In diesem Zusammenhang fällt auch der Begriff Ökonomie der Erpressung. Wenn frau es nicht tut, tut es niemand, nein sagen also fast unmöglich, denn natürlich ist es (lebens-)wichtig, sich um Kinder und ältere Menschen zu kümmern.

Themen der Diskussionsrunde

Burn-out / Burn-on

Wenn es ums Thema Zeit geht, kommt irgendwann auch der Begriff Burn-out zur Sprache. Damit haben wohl alle schon mal zu tun gehabt, sei das selber, bei der Arbeit oder im Bekanntenkreis. Ich muss das nicht weiter ausführen. Erstaunt hat mich hingegen, dass es auch Burn-on gibt, und zwar nicht wenig. Ungefähr 10% leiden unter Burn-on, also Arbeitssucht. Sie können gar nicht mehr anders. Ich kenne da auch jemanden, es war mir aber nicht bewusst, dass das kein Einzelfall ist…

Bullshit-Jobs

Ebenfalls Thema war die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Wer den Sinn seines/ihres Tuns nicht mehr sieht, tendiert eher dazu „faul“ zu werden, sich weniger einzusetzen, nur noch „Dienst nach Vorschrift“ zu leisten. In diesem Zusammenhang erwähnte Antje Schrupp, dass sie sehr für ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre, so würden solche Bullshit-Jobs mit der Zeit verschwinden, wir hätten mehr Zeit für Sinnvolles, für Freiwilligenarbeit, etc. Die Menschen wären zufriedenener, glücklicher, hätten mehr erfüllte Zeit!

Diskussionsrunde

Im zweiten Teil des Nachmittags diskutierten wir in 4 Gruppen die verschiedenen Impulse aus dem Referat.

diskutieren in Gruppen

Kurzimpluse von Stephan Wyss und Sr. Ingrid Grave

Stephan Wyss

Stephan Wyss ist Philosophielehrer und Theologe. Und entsprechend war auch sein kurzer Impuls sehr biblisch. Die erste Sünde, die in der Bibel erwähnt wird, ist der Brudermord von Kain an Abel. Das Land, in dem Kain lebte, hiess Nod, und „Nod“ bedeutet ruhelos. Gott aber hatte keinen Gefallen an Kains Gaben — seiner Geschäftigkeit, seiner Ruhelosigkeit — so brachte der eifersüchtige Kain seinen Bruder Abel um. Das Treiben von Kains Sippe führte schliesslich zur Sintflut. Der einzige, der mit seiner Familie die Katastrophe überlebte, war Noah. Und Noah bedeutet „Ruhe“…

Es gab noch weitere Hinweise auf Hektik und Ruhe aus der Bibel und dem Judentum. Mit dem Fazit: tue, was du tust möglichst bewusst. Wenn du zum Beispiel mit deinem Kind unterwegs bist, hänge nicht ständig am Handy! Denke nicht schon an morgen und übermorgen.

Ingrid Grave

Der Impuls von Sr. Ingrid trug den Titel „Keine Zeit im Frauenkloster“. Mit viel Humor berichtete sie aus ihrem Leben im Kloster, wie es sich verändert hat seit sie 1960 bei den Dominikanerinnen eingetreten ist. Zu spät (oder gar nicht) kommen, zum Beispiel, ging gar nicht. Heute erlaubt sie sich schon ausnahmsweise mal noch ein bisschen liegenzubleiben. Freizeit gab es früher wenig, heute haben die Klosterfrauen mehr  freie Zeit und Ferien. Der Tag war und ist aber immer sehr strukturiert mit den fixen Gebets- und Arbeitszeiten. Stressige Zeiten sind auch im Kloster Thema, aber sie dürfen nicht zum Dauerzustand werden. Der Tagesrhythmus hilft dabei.

Faulheit ist eine Untugend. Damals und heute. Aber ist es Faulheit, wenn sie sich im Garten auf eine Bank setzt und einfach da sitzt? Das mag möglicherweise so aussehen. Aber für sie ist es erfüllte Zeit, Begegnung mit dem Göttlichen.

Podium

Ingrid Grave, Antje Schrupp, Stefan Wyss, Veronika Bachmann

Zum Schluss des Nachmittags gab es noch ein Podium mit den drei Gästen. Moderiert wurde es von Veronika Bachmann.

Ich geb’s zu, ich habe nicht mehr so genau zugehört… Eine gewisse Müdigkeit machte sich (in mir) breit, und mein Rücken protestierte mit jeder Minute lauter über den unbequemen Stuhl. Ich werde jetzt also faul und beende hier meinen Bericht. Falls Alois noch etwas dazu sagen möchte, werde ich das später hier anfügen.

Apéro

Und ganz zum Schluss gab es einen fantastischen Apéro. Prost und en Guete!

beim Apéro

Wie ich im Nachhinein erfahren habe, kann man den Vortrag von Antje Schrupp online lesen. Hier! Wenn ich das früher gewusst hätte…

Und im «Sonntag» vom 19. Oktober erschien eine Kolumne von Sr. Ingrid: «Wer hat schon Zeit für Zeitverschwendung?»

Bericht und Bilder: Barbara Fleischmann

Weitere Bilder (leider nicht der Reihe nach, das Programm hat einen Tilt, und ich weiss grad nicht woran das liegt)

 

 

 

Veronika Bachmann begrüsst das Publikum
Veronika Bachmann begrüsst das Publikum
Publikum
Publikum
Publikum
Publikum
diskutieren in Gruppen
diskutieren in Gruppen
Ingrid Grave, Antje Schrupp, Stefan Wyss, Veronika Bachmann
Ingrid Grave, Antje Schrupp, Stefan Wyss, Veronika Bachmann
Luigi Pedrocchi bedankt sich und lädt zum Apéro ein
Luigi Pedrocchi bedankt sich und lädt zum Apéro ein
Apéro
Apéro
beim Apéro. Odilo Noti, Felix Senn, Luigi Pedrocci
beim Apéro. Odilo Noti, Felix Senn, Luigi Pedrocci
beim Apéro
beim Apéro
Fotograf:innenregel: fotografieren während dem Essen verboten :-)
Fotograf:innenregel: fotografieren während dem Essen verboten :-)
auch für geistige Nahrung ist gesorgt. Stand der "neuen Wege"
auch für geistige Nahrung ist gesorgt. Stand der "neuen Wege"
beim Apéro wird fleissig weiterdiskutiert. Antje Schrupp (Mitte)
beim Apéro wird fleissig weiterdiskutiert. Antje Schrupp (Mitte)