20. Oktober 2018

Zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte treffen wir uns in Einsiedeln. Einmal waren wir zusammen am Welttheater, das zweite Mal besuchten wir die wunderschöne Bibliothek und diesmal treffen wir Pater Martin Werlen und hören ihn zu seinem Buch «Zu spät. Eine Provokation für die Kirche. Hoffnung für alle».

Wie immer begannen wir unser Treffen genuin biblisch mit einem gemeinsamen Mahl, diesmal im Restaurant Klostergarten in Einsiedlen.

Gestärkt machten wir uns danach auf den Weg über den Klosterplatz zum Treffpunkt beim Klosterladen.

warten auf Martin Werlen

Im kleinen Saal unter dem Klosterladen begrüsst Alois alle nochmal herzlich und übergibt das Wort dann Martin Werlen.

«Zu spät.» So hätte auf Wunsch von Martin Werlen der Buchtitel lauten sollen.  – Zu spät Punkt – der Verlag war aber der Meinung, ein Buch mit dem Titel «Zu spät.» verkaufe sich nicht. Darum wurden die Untertitel hinzugefügt. Dass sich ein Buch mit dem Titel «Zu spät.» sehr wohl gut verkaufen lässt, zeigte sich rasch. Inzwischen ist die 7. Auflage in Druck und es wurde bereits in mehrere Sprachen übersetzt.

Ungefähr 2% der Katholiken seien noch aktiv in der Kirche, 98% hätten sich verabschiedet. Und für genau diese 98% habe er dieses Buch geschrieben. Dass er damit einen Nerv getroffen hat, zeigen die Verkaufszahlen. «Zu spät» ist durchaus ein Thema in den meisten Lebensläufen. «Zu spät» ist auch das Thema in so vielen biblischen Geschichten. Auf die erstaunte Nachfrage aus dem Publikum zählte er einige davon auf: für Sara und Abraham sei es zu spät gewesen, noch ein Kind zu bekommen. Ebenso für Elisabeth und Zacharias. Auf der Hochzeit zu Kana sei es zu spät gewesen um noch mehr Wein zu besorgen, für die Jünger im Boot auf dem stürmischen See sei es zu spät gewesen für eine Rettung, für den toten Lazarus sei es zu spät gewesen. Und auch für Jesus sei es zu spät gewesen, bei seinem Tod am Kreuz. Für jene, die dieses «zu spät» nicht nachvollziehen, nicht aushalten können am Karfreitag, gäbe es auch keine Auferstehung an Ostern.

Dass er ein gutes «Gspüri» hat für diejenigen, die sich verabschiedet haben, zeigen unter anderem auch die Orte, an denen er Lesungen hält. In einer Brockenstube, in einem ausgedienten Hallenbad, beide Male waren die Örtlichkeiten offenbar rappelvoll. Zu einer Lesung in der Dombuchhandlung hingegen kamen keine 30 Leute, halt einfach jene, die sowieso schon immer kommen…

Im Buch ist mehrfach die Rede davon, dass es nicht 5 vor 12, sondern 5 nach 12 sei. Ein gewaltiger Unterschied! Als Beispiel erzählt Martin Werlen eine Begebenheit aus seinem Leben. Er musste unbedingt einen Zug erreichen, weil er in Salzburg zu einem Vortrag erwartet wurde. Er hatte am Morgen noch Beichtdienst in der Kirche, und – wie es halt so geht – kam noch einer zu einem Gespräch, als er gerade gehen wollte. Pater Martin konnte ihn nicht einfach stehen lassen. Nach diesem Beichtgespräch eilte er in sein Zimmer, packte das Nötigste zusammen und rannte Richtung Bahnhof. Einsiedeln ist momentan eine grosse Baustelle, und die vielen Touristen und Wallfahrerinnen machen es einem nicht leicht, durchs Dorf zu kommen. Und wenn eine ältere Frau mit Rollator den Weg versperrt, ihn dann auch noch erkennt und noch was sagen will, dann ist der Zug schon abgefahren… Und plötzlich sei er wieder ruhig geworden und hätte die Menschen um ihn wieder richtig wahr genommen.

Genau so sei es im Leben. 5 vor 12 sind alle im Stress, rennen, eilen, hasten am Wesentlichen vorbei. Erst 5 nach 12 gelingt es wieder inne zu halten und zu überlegen, was denn jetzt als nächstes zu tun sei. Jetzt kommt es auf eine Minute mehr oder weniger auch nicht mehr an. Ein Leser habe ihn mal gefragt, ob denn 5 nach 12 am Mittag oder in der Nacht gemeint sei. – Ganz klar, es ist 5 nach 12 in der Nacht. Die Zeit, in der der neue Tag beginnt!

Ein gewichtiger Teil des Buches handelt vom Buch Jona, ein Buch voller «zu spät». Die Protagonisten sind alles Atheisten (die Schiffsmannschaft, die Leute in Ninive) ausser Jona selber. Für alle ist es zu spät. Die einen drohen im Sturm zu ertrinken, die anderen in ihren Sünden. Die Geschichte wendet sich zum Guten: Die Leute auf dem Schiff beten zum Gott Israels, sämtliche Einwohner von Ninive kehren um. Der einzige, der schwankt bis zuletzt, der sich mit der positiven Veränderung nicht anfreunden kann, der eine wieder lebendig werdende Stadt nicht begrüsst, ist Jona!

Die Gegner einer lebendigen Kirche seien nicht etwa die Atheisten sondern jene, die dafür sorgen, dass möglichst alles beim alten bleibt. Man denke da zum Beispiel an die Kirche in Holland nach dem 2. vatikanischen Konzil. Innert Kürze herrschte dort eine wunderbare Aufbruchstimmung, es kam Leben in die Kirche, das sogleich wieder zurückgebunden wurde. Inzwischen ist es ruhig geworden in Holland. In keinem anderen Land gibt es so viele Konfessionslose! Bei uns gab es einen ähnlichen Aufbruch mit der Synode 72. Und was ist daraus geworden?  – Eben…

Auch heute wird jede Veränderung, jeder kleine Aufbruch gleich wieder unterdrückt. Im Moment ist die Jugendsynode in Gang. Weihbischof Alain de Raemy (aus dem Bistum Lausanne, Genf, Freiburg) äusserte sich in diesem Zusammenhang auch zum Thema Mitbestimmung der Jugendlichen und der Frauen in der Kirche.  Pater Martin hofft, dass es allenfalls möglich ist, dass die paar Frauen (Ordensschwestern), die an der Synode mit dabei sind, erstmals ein Stimmrecht erhalten. – Man wird sehen….

In den neuen Lektionaren, die ab dem 1. Adventssonntag in allen Kirchen gebraucht werden, stehe nicht mehr «Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer» sondern «Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom» (dasselbe natürlich auch mit Briefen an all die anderen Gemeinden). – Was Männern vielleicht gar nicht so auffallen wird. Wir Frauen hören den Unterschied sofort! – Das sei eine Anregung aus seinem Text «Die Glut unter der Asche finden», der ebenfalls Eingang in das Buch gefunden hat, erklärte Martin Werlen, und las sogleich die entspechende Passage vor.

Es sind winzig kleine Schritte. Aber immerhin.

Nach seinem Vortrag blieb noch Zeit, Fragen zu stellen. Eine lautete, ob es nicht definitiv zu spät sei, die Jugend wieder in die Kirche zu holen. Pater Martin erzählte darauf hin, wie er den Religionsunterricht am Gymnasium gestaltet. Beginnen mit 5 Minuten Stille, die Jungen ihre Gedanken, Sorgen und Probleme aussprechen lassen, die passende Bibelstelle dazu erzählen und schon sei plötzlich Interesse da für das Buch, von dem von den Jugendlichen eben erst gesagt wurde «die Bibel – ja nichts aus der Bibel!». Und die Schuleucharistiefeier habe er abgeschafft. Man steige ja schliesslich auch nicht ohne Übung aufs Matterhorn! Eine Eucharistiefeier wirklich mitfeiern zu können, brauche viel Übung, die die Jungen heute nicht hätten. Sie seien da total überfordert. «Zu spät», 5 nach 12, Zeit, neu zu beginnen, bei Null zu beginnen!

Es ist 5 nach 12. Kurz nach Mitternacht. Es wird noch dauern, bis der neue Tag wirklich erwacht! Martin Werlens Buch macht Mut. Es lehrt, dass «zu spät» nicht das Ende ist, sondern der Anfang von etwas Neuem. Es liegt auch an uns, auf dem Weg zu bleiben, durch die momentane Nacht zu gehen, und vor allem auch an etwas Neuem mitzuarbeiten, uns einzusetzen und aufzustehen für eine lebendige Kirche.

Wie, wo, wann, was?… Es bleiben auch noch viele Fragezeichen….

Das nächste Buch sei schon in seinem Kopf, sagte Pater Martin zum Schluss. Es fehle einfach noch etwas Zeit, es zu schreiben. Und auch diesmal werde der Titel dem Verlag nicht gefallen… – Wir sind gespannt!

«Zu spät. Eine Provokation für die Kirche. Hoffnung für alle»

 

Bericht und Bilder: Barbara Fleischmann